Weihnachten mit einem Alkoholiker

Weihnachten, so heißt es, ist das Fest der Liebe und Familie. Für viele ist es sogar die glücklichste Zeit des Jahres. Zu Hause wird es gemütlich, der Weihnachtsbaum glitzert prachtvoll und die Kinder freuen sich auf Geschenke. Wir kommen mit der ganzen Familie zusammen, sitzen gemeinsam beim gemütlichen Weihnachtsessen und die Stimmung ist fröhlich und gelassen – wie schön!

Oder etwa nicht?

Solch ein harmonisches Beisammensein klingt toll, entspricht aber für viele Menschen nicht der Realität. Viele begleitet allein beim Gedanken an die bevorstehenden Feiertage ein mulmiges Gefühl. Sie sind unentspannt und zum Teil sogar ängstlich, denn sie wissen nicht, was sie erwartet.

Ich spreche von solchen Familien, bei denen ein Angehöriger alkoholkrank ist und somit die Macht besitzt, das gesamte Familienfest mit seinem übermäßigen Alkoholkonsum zu sabotieren.

Ich kenne kaum einen, der Weihnachten nicht mit seiner Familie verbringen möchte. Aber selbst wenn die Hoffnungen, Wünsche und Versprechen bestehen, dass alles wie geplant läuft, ist es ratsam ein paar Vorbereitungen zu treffen. Denn du wirst dich über die Festtage mehr entspannen können, wenn du „für den Fall der Fälle“ gerüstet bist.

Damit du dir selbst fröhlichere Weihnachten schaffen kannst, habe ich die Suchtberaterin Cécile Aldrian interviewt. Ihre besten und wertvollsten Tipps aus jahrelanger Praxiserfahrung habe ich hier für dich zusammengestellt.

Vorab möchte ich dir aber noch mein kostenfreies E-Book „Alkoholismus – Wenn das Umfeld mitleidet“ ans Herz legen, indem du auch nochmal alles Wissenswerte über Alkoholismus erfährst, kompakt und zielgerichtet auf den Punkt gebracht. In dem Buch erfährst du auch, wie du den Suchtkreislauf als Angehöriger durchbrichst und verantwortungsvoll mit der Problematik umgehst. Hier kannst du es dir direkt herunterladen:

Sich mental vorbereiten und Zeit für sich nehmen

Das bedeutet nichts anderes, als dass du vor der Zusammenkunft mit deiner Familie achtsam und liebevoll mit dir selbst umgehst. Aufgrund von Besorgungen und Einkäufen geraten wir schnell in den typischen Weihnachtsstress und vergessen uns dabei selbst.

Die Folge: Wir sind bereits angespannt, überfordert und wohl möglich sogar schlecht gelaunt, bevor das eigentliche Fest überhaupt beginnt.

Die Expertin empfiehlt hier, sich aktiv Zeit für sich selbst zu nehmen und zwischendurch auch mal bewusst den Pause Knopf zu drücken. Das heißt, dir selbst die Möglichkeit einräumen, den Dingen nachzugehen, die dir gut tun. Entspannung verschafft z. B. ein heißes Bad, Atemübungen oder ein Spaziergang an der frischen Luft. 

Eine weitere Möglichkeit ist, im Vorfeld mit einem vertrauten Menschen über deine Ängste zu reden. Allerdings nur dann, wenn du sicher sein kannst, dass du dich dabei nicht in eine destruktive Stimmung hinein steigerst.

Versuche, deine gewohnten Sorgen für den Moment beiseite zu schieben. Begegne der Verabredung mit deiner Familie stattdessen mit positiven Gedanken. Du darfst dich sogar darauf freuen!

Istzustand akzeptieren & realistische Erwartungen haben

Die eigene Erwartung an ein friedliches Weihnachtsfest ist meistens nicht weniger hoch als der Druck der Gesellschaft, Weihnachten ausgiebig und fröhlich zu zelebrieren.

Mach dir bewusst, dass es durch diesen Druck leichter und schneller zu Konflikten kommen kann, als gewöhnlich. Cécile ist sich sicher, dass deine innere Einstellung den Unterschied machen kann:

Schraube deine hohen Erwartungen so weit runter, wie nur möglich. Am besten gehst du sogar ganz ohne Erwartungen zu dem Treffen.

Dabei geht es nicht darum, jedes Verhalten zu tolerieren oder die Alkoholabhängigkeit zu verdrängen. Aber für diesen Tag kannst du dir fest vornehmen, nichts an der Sucht des anderen verändern zu wollen. „Sag immer wieder in Gedanken zu dir: Nur heute akzeptiere ich den Alkoholiker und lasse ihn so sein, wie er ist.“

Das bedeutet auch, dass du heute das Thema Alkoholismus nicht ansprichst. Eine Eskalation am Heiligen Abend wäre sonst so gut wie vorprogrammiert.

„Es ist nicht der richtige Moment, die Büchse der Pandora zu öffnen.“ – Cécile Aldrian

Die eigenen Grenzen kennen (lernen)

Die Suchtberaterin weiß, wie entscheidend das Thema Grenzen setzen bei Alkoholismus ist.

Wichtige Fragen die du dir stellen solltest sind: 

  • Wo liegen überhaupt meine Grenzen?
  • Welches Verhalten kann ich tolerieren?
  • Wann ist der Punkt erreicht, an dem ich mit der Situation nicht mehr einverstanden bin?
  • Was wäre dann die Konsequenz für den Alkoholiker?

Du hast Schwierigkeiten festzulegen, was für dich in Ordnung wäre und was nicht? Ein Anhaltspunkt ist die Erinnerung an die letzten 2-3 Weihnachten. Durch die Erfahrung der Vorjahre kannst du realistisch einschätzen, wie das Fest mit dem Alkoholiker verlaufen könnte.“

Dir Szenen aus der Vergangenheit ins Gedächtnis zu rufen die nicht okay waren, kann dir dabei helfen, deine Grenzen für dieses Jahr festzulegen. Wenn du da tiefer eintauchen willst, lies dazu unbedingt diesen Artikel: Wie du ohne Schuldgefühle Nein sagst und gesunde Grenzen setzt

Einen Notfallplan haben

Es ist wichtig, dass du dich für eine mögliche Eskalation wappnest. Werde dir innerlich im Klaren darüber, was du tust, wenn du die Situation nicht mehr kontrollieren kannst.

Das können Situationen sein, in denen der Alkoholiker sich dir oder anderen gegenüber respektlos verhält oder sogar aggressiv wird. Dazu gehören emotionale Verletzungen und Provokationen.

Wichtig ist dann, dass du entsprechend reagierst, bevor es zur Eskalation kommt. Cécile führt die folgenden Möglichkeiten an:

1. Du zeigst dem Alkoholiker auf ruhige und respektvolle Art, dass dich sein Verhalten verletzt und du das nicht möchtest. Du könntest sagen: „Was du gerade gesagt hast, tut mir weh – bitte lass uns das Fest einfach ohne solche Äußerungen genießen.“ Aber Vorsicht! Sowas kann auch nach hinten losgehen und den Gegenüber verärgern. An dieser Stelle bedarf es deiner eigenen Einschätzung.

2. Du gibst dir selbst die Erlaubnis, ohne Begründung vom Tisch aufzustehen und dich kurz (z. B. ins Bad) zurückzuziehen, um dich zu beruhigen. Dazu gehört auch, dass du trotz deines Strebens nach Frieden, nach Hause gehen darfst, wenn die Situation im Laufe des Abends gar nicht mehr zumutbar ist.

3. Du steigst nicht auf das Verhalten des Alkoholikers ein und ignorierst seine Äußerungen, um die Harmonie zu bewahren. Stell dir dazu vor, du trägst einen unsichtbaren Ölmantel, an dem jegliches Wasser einfach abprallt.

Bei letzterer Taktik hebt die Expertin hervor, dass du dir darüber klar sein musst, dass diese Strategie nur für den Moment funktionieren kann. Langfristig ist diese Methode nicht empfehlenswert. Denn wenn du das grenzüberschreitende Verhalten des Alkoholikers auf Dauer tolerierst, wirst du dich damit ständig selbst verletzen.

Eigenverantwortung übernehmen und Kontrolle loslassen

Indem du wie oben auf ein unerwünschtes Verhalten reagierst, übernimmst du Verantwortung für dich und damit für deine Gefühle und ein selbstbestimmtes Leben.

Und ja, du schaffst das.

Eigenverantwortung ist auch entscheidend, wenn die Weihnachtsfeier bei dir stattfindet. Du wünscht dir einen harmonisches Fest und genau das solltest du gegenüber deinem suchtkranken Angehörigen kommunizieren: „Ich freue mich, dass du kommst und wünsche mir, dass wir alle einen schönen und friedlichen Tag haben.“

Wichtig ist, dass du das mit Liebe und Respekt aussprichst, damit dein Wunsch nicht falsch verstanden wird und auf Ablehnung stößt. Aber denk daran, dass es trotzdem zu Konflikten kommen kann und sich dein Wunsch vielleicht nicht erfüllt.

Du hast keine Kontrolle über das Verhalten des Alkoholikers.

Du bist immer nur in der Lage, dich und dein eigenes Verhalten zu beeinflussen. Halte dir diese Tatsache immer wieder vor Augen.

Für ein mögliches „Worst-Case-Szenario“ ist es auch hilfreich, eine gute Freundin/einen guten Freund zu fragen, ob du sie/ihn bei Bedarf anrufen darfst. Im Notfall hast du dann jemanden, mit dem du über die Situation sprechen kannst.

Schuldgefühle verwerfen und sich selbst schützen

Harmonie und Frieden sind aufgrund des unberechenbaren Verhaltens eines Suchtkranken nicht zu garantieren. Das kann nicht nur zu Enttäuschungen führen, sondern auch zu vertrauten Schuldgefühlen.

Mach dir klar, dass du am Verhalten des Alkoholikers nicht Schuld bist.

Cécile: „Wenn dein suchtkranker Verwandter entscheidet, sich auf der Feier daneben zu benehmen, indem er sich maßlos betrinkt, nimm es nicht persönlich. Jedes schlechte Benehmen und jede Verletzung dir gegenüber liegt in seiner eigenen Verantwortung.“

Du kannst sein Verhalten nicht ändern, ob an Weihnachten oder an einem anderen Tag. Ein Alkoholiker wird sich immer benehmen, wie er möchte, denn das ist Teil seiner Krankheit. Das hat absolut nichts mit dir zu tun.

Und solltest du vorweg mit dem Gedanken spielen, das Weihnachtsfest ohne den Alkoholiker zu verbringen, ist das auch völlig in Ordnung. Wenn du in der Vergangenheit sehr schlechte Erfahrungen damit gemacht hast, darfst du dir selbst erlauben, nicht mit ihm zu feiern.

Wenn du merkst, dass allein die Vorstellung dich krank macht oder mental aus der Bahn wirft, darfst du dir eine Notlüge überlegen. Du weißt ja – indem du dich vor möglichen Konflikten und Auseinandersetzungen schützt, übernimmst du Verantwortung für dich und deine Emotionen.

DAS FEST DER LIEBE

Grenzen und Erwartungen sind extrem schwer umzusetzen bzw. einzudämmen.

Ich kenne das nur zu gut, da ich über 25 Jahre dem Alkoholproblem meiner eigenen Familie standhalten musste. Bitte denk daran, dass auch du erholsame und unvergessliche Festtage verdienst. Lass nicht zu, dass Angehörige, die immer noch mit ihrer Suchtkrankheit kämpfen, dir die Freude daran nehmen.

Du weißt, dass nur du die Verantwortung für dein Leben trägst und du vieles selbst in der Hand hast. Ich danke Cécile Aldrian vom Herzen für dieses Interview und wünsche allen, die diesen Beitrag lesen, wünsche ich eine glückliche und gesunde Weihnachtszeit mit einem Strumpf voller Liebe und Harmonie.

With love,
Mel


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3 Gedanken zu „10 Expertentipps für unbeschwertere Festtage mit einem Alkoholiker“

  1. Ich finde, diese Tipps sind eine liebe- und vor allem verständnisvolle Anleitung zur Selbsthilfe – machen Mut, geben Kraft und sind dabei doch so ehrlich und offen im Umgang mit dieser sensiblen Thematik! Sehr wertvoller Beitrag!

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